rausgestellt, 2020
Marion Cziba

Systematik des Trashs

Über Marion Czibas Fotoserie „rausgestellt“

Ein Kindersitz, der durch ein schmales Kellerfenster geflohen ist. Ein Ledersessel, der traurig vor dem Schaufenster in sich zusammensinkt. Eine Toilettenschüssel, die ihren Freund, die Mülltonne, grüßt. In Marion Czibas Fotoreihe „r ausgestellt“ fangen die Gegenstände an zu leben. Sie werden zu beseelten Persönlichkeiten, mit denen wir interagieren, fühlen und die uns skurrile Geschichten erzählen. Schleichend, so erzählt Marion Cziba, sind die „Rausgestellten“ in ihr Leben gekommen, fast so, wie die Objekte auch in den öffentlichen Raum einzogen. Die Motive fand sie in den vergangenen vier Jahren in Mannheim, Trier, Völklingen und ihrem Wohnort Saarbrücken. Aber sie könnten überall sein. Kühlschränke, Altreifen, Kinderwagen, Stühle, Sessel: Irgendwer stellt die Objekte heraus, die vielleicht anfangs als Fremdkörper wahrgenommen werden. Sicherlich wird sie jemand bald entfernen! Und falls nicht, werden sie geduldet, bis sie schließlich zum Ort gehören.

Czibas heitere Anti-Stillleben entwickeln sich aus entsorgten, vergessenen, achtlos weggeworfenen und mal eben ab- oder beiseite gestellten Objekten. Manche sind noch in Verwendung wie der Transportwagen in einem Baumarkt, dem ein Rad fehlt und der sich trotzdem jedes Mitleid verbittet. Schließlich verrichtet er ja noch seine Arbeit, mit Ach und Krach, aber er schafft’s! Oder die für eine Veranstaltung hundertfach in Reihen aufgestellten Plastikstühle in jenem Standardmodell, das oft mit eingeknickten Beinen wahlweise im Gebüsch oder im Fluss landet. Ihr vorbestimmtes, trostloses Schicksal. Dass die Objekte als Persönlichkeiten wahrgenommen werden, für die Empathie entwickelt wird, korrespondiert mit der menschlichen Urheberschaft der Arrangements. Fast ausnahmslos werden sie von Menschen aus dem eher technisch orientierten Gedanken heraus positioniert, etwas loszuwerden oder aus dem Weg zu schaffen. Künstlerische Maßstäbe spielen hier keine Rolle - aber für Marion Cziba.

Mit ihrer Fotoserie gelingt es ihr, eine ganz eigene, von Achtlosigkeit geprägte, aber entwaffnend ehrliche, funktionale und anspruchslose Ästhetik der Art-brut-Installationen im öffentlichen Raum systematisch herauszuarbeiten und zugleich als skulpturales Element für sich zu nutzen. Nicht mit sorgsam ausgeleuchteter hoher Fotokunst, sondern ebenso trashig wie ihr Sujet: schnell, ohne großen Aufwand dokumentiert sie das Beobachtete und Erkannte mit dem Handy. Gleichzeitig berührt sie mit ihrem Werk die Frage nach dem Privaten und Nicht-Privaten. In vielen ihrer Fotos werden private Dinge in den öffentlichen Raum gestellt. Welche Geschichten stehen hinter den Gegenständen? Warum sind ihre Besitzer ihrer überdrüssig geworden? Die Antwort ist reine Spekulation, aber die macht Spaß – zumal Marion Cziba durch die Reihung der Fotos ihre Version als Möglichkeit in den Raum wirft, die Geschichte zu erzählen. Die Botschaft: Augen auf! Mit wachsamem Blick durch die Stadt gehen! Und schmunzeln. TANKRED STACHELHAUS

Der alte Koffer und das Bild

Noch fünf Minuten. Eilig schlage ich die Tür hinter mir zu, bin viel zu spät dran, renne querfeldein über die hellrote Ampelzum Gleis und – stoppe vor einem Bild von Sofa! Unschlüssig. Blicke auf mein Handy. Noch drei Minuten. Gehen oder bleiben? Zug oder Sofa? Neben mir läuft ein Typ auf und ab, gestikuliert hektisch an seinem Handy. Verstehen tue ich nichts. Es muss wohl um den Abtransport des Fundstücks gehen. Gut so. Die Rettung vor der Müllpresse. Also, jetzt oder nie! Das Sofa wird nicht lange warten. Fokussiert auf mein barockes Gegenüber zücke ich die Handy-Kamera. Das Sofa ist ein echtes Top-Modell. Die Posen sitzen, das Licht passt perfekt. So ist es immer, wenngleich Modell- und Lichtqualitäten variieren.

Ich suche nicht, erwarte nicht und inszeniere nicht. Ich begegne den Dingen zufällig und staune. Dinge, die von den Handlungen der Menschen einer hoch zivilisierten Gesellschaft zeugen, in der sie leben und ableben, gebrauchen und verbrauchen. Früher sammelte ich noch, heute nehme ich (fast) nichts mehr mit. Nichts, außer einem Bild, gewissermaßen meine Beute. Jedes spricht eine eigene Geschichte. Gemeinsam ist den Dingen ihre temporäre Präsenz im öffentlichen Raum. Sie werden rausgestellt auf die Straße und sind unfreiwillig ausgestellt in der Straße. Absichtslos. Sicher. – Zufällig Gefundenes, unfreiwillig Komisches, absurd Alltägliches und skulptural Erzählerisches aus meiner Sammlung der vergangenen Jahre zeige ich nun ausschnittweise in einer konzentrierten Fotoserie und in einem durchaus handhabbaren Bildband. – Und der alte Koffer ist ein Buch… MARION CZIBA


Vita

Marion Cziba
geb. 1973, lebt und arbeitet in Saarbrücken

2020 Abschluss Meisterstudium Freie Kunst | HBKsaar | Prof. Daniel Hausig, Prof. Georg Winter

2018 Diplom Freie Kunst | HBKsaar | Saarbrücken | Prof. D. Hausig, Prof. G. Winter

Stipendien, Auszeichnungen

2016 Artmix 10 | Residenzstipendium | Kultusministerium Luxemburg und Landeshauptstadt Saarbrücken

2015 Deutschland-Stipendium | Förderstiftung Walter Bernstein und StudienStiftungSaar

2015 Peter und Luise Hager-Preis | „Spannung“ | Peter und Luise Hager-Stiftung | 1. Preis

2013 Saarland-Stipendium Künstlerische Grundlagen | StudienStiftungSaar

Ausstellungen

2020 Galerie Junge Kunst | Trier | „Kraft x Weg“

2018 Saarländisches Künstlerhaus | Saarbrücken | „Halbautomatische Pirouetten“ | k

2018 Kunstverein Linz am Rhein | „Vertikales Passspiel“

2017 Offspace gallery Zerfer Weg | Saarbrücken | „Parkdeck – Formationen und Konstellationen“ | k

Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)

2019 Zentrum für Internationale Lichtkunst | Unna | „ILAA students“ | k

2018 Kunsthalle Mannheim | „Volume V“ | k

2018 Städtische Galerie Delmenhorst | Remise | „Fence Dance International“

2017 Saarländische Galerie | Berlin | „ARTMIX 10“ | k

2017 Stadtgalerie Saarbrücken | „ARTMIX 10“ | k

2017 Landeskunstausstellung | Saarbrücken | „SAARART11“ | k

2016 Kubaai Alte Textilfabrik | Bocholt | „Soundseeing VI“

2016 Internationales Zentrum für Lichtkunst | Unna | „Switch“ | k

2015 Offspace | „Lichtungen“ | Hildesheim | k

2015 Städtische Galerie | Villingen-Schwenningen | „VvsV Querulanten Hylobaten“| k

2015 Tufa Tuchfabrik | Trier | „BlauBlauBlau“ | Jubiläumsausstellung

2015 HAW Hochschule f. Angewandte Wissenschaften | Hamburg | „Lichtcampus“

2015 Galerie der HBKsaar | Saarbrücken | „Peter und Luise Hager-Preis“ | k

2014 Galerie HBKsaar | Saarbrücken | „Verliebte Künstler & Affaire de coeur“ | k

2014 Berliner Promenade | Saarbrücken | „Light_Act_Project“| k